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I. Neueste Presseberichte zur Tiroler Leerstandsabgabe
In Österreichs Bundesland Tirol wird von Politik und Medien seit langem ein erheblicher Wohnungsleerstand[1], verursacht durch Spekulation auf Grund und Boden sowie daraus resultierend ein hoher Druck auf den Wohnungsmarkt beklagt. Um den negativen Auswirkungen des Leerstands zu begegnen und leistbaren Wohnraum für die Bevölkerung nutzbar zu machen, wurde in Tirol zum 1. Januar 2023 eine Abgabe für leerstehende Wohnungen, die sog. Leerstandsabgabe eingeführt. Seitdem wird intensiv und kontrovers über deren Sinnhaftigkeit diskutiert. Zunehmend setzt sich die Erkenntnis durch, dass Leerstand zwar in Ballungszentren wie Innsbruck eine große Herausforderung darstellt, es aber im ländlichen Raum auch eine Vielzahl von Gemeinden gibt, in welchen kein Druck auf den Wohnungsmarkt besteht und leistbarer Wohnraum verfügbar ist.[2] Die ungleiche Verteilung des Wohnungsdrucks in den verschiedenen Regionen erhöht die Komplexität der Diskussionen um die Lösung des Leerstandsproblems. Die Debatten in Tirol sind interessant, zumal auch in Deutschland regional die Einführung einer Abgabe für leerstehende Wohnungen diskutiert wird.
Nun ist im Januar 2025 in der Tiroler Tageszeitung ein Artikel zum Thema erschienen, der einen bisher in den Diskussionen außer Acht gelassenen Aspekt der Tiroler Leerstandsabgabe anspricht.[3] Dort wird Universitätsprofessor Thomas Müller mit der These zitiert, dass die derzeit als für die Tiroler Gemeinden verpflichtend ausgestaltete Regelung zur Abgabenerhebung in einem „Spannungsverhältnis“ zum österreichischen Finanzverfassungsgesetz stehe.[4]
Der Begriff des Spannungsverhältnisses machte mich hellhörig. Er lädt geradezu ein, tiefer in das Thema einzudringen. Nach langjähriger Tätigkeit als Rechtsanwältin und Partnerin in einer internationalen Großkanzlei bin ich mit der Prüfung von Rechtsfragen auch mit Blick auf andere europäische Jurisdiktionen vertraut und stets an Fragestellungen interessiert, die in verschiedenen Ländern der EU gleichermaßen auftreten, ebenso wie an den hierzu diskutierten Lösungsansätzen. Und so habe ich mich mit dem von der Tiroler Leerstandsabgabe erzeugten „Spannungsverhältnis“ beschäftigt.
Die aktuelle Tiroler Leerstandsabgabe ist vom Gesetzgeber als ausschließliche Gemeindeabgabe konzipiert. Die 277 Tiroler Gemeinden sind unabhängig vom Wohnungsdruck in ihrem Gemeindegebiet und ungeachtet ihrer finanziellen Situation gesetzlich dazu verpflichtet, die Abgabe zu erheben.
Meiner Auffassung nach verstößt die aktuelle rechtliche Ausgestaltung der Tiroler Leerstandsabgabe gegen die österreichische Finanzverfassung, und zwar gegen § 8 Abs. 6 F-VG 1948.
Diese Rechtsauffassung werde ich nachfolgend erläutern und begründen. Dabei wird zunächst der verfassungsrechtliche Rahmen für die bestehende gesetzliche Regelung der Leerstandsabgabe skizziert (Ziffer II.). Im Anschluss wird unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien die besondere Ausgestaltung der gesetzlichen Normierung in Tirol im Vergleich zu anderen Bundesländern Österreichs analysiert (Ziffer III.). Weiterhin wird auf die bisher, soweit ersichtlich, einzige juristische Begutachtung eingegangen, die bei der Prüfung der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der Leerstandsabgabe den hier relevanten § 8 Abs. 6 F-VG in den Blick nimmt (Ziffer IV.). Zum Schluss soll ein Ausblick auf die geplante Gesetzesnovelle zur Tiroler Leerstandsabgabe gegeben werden, die zum 1. Januar 2026 in Kraft treten soll (Ziffer V.).
II. Verfassungsrechtlicher Rahmen der Leerstandsabgabe
Die These der Verfassungswidrigkeit der Tiroler Leerstandsabgabe mag zunächst erstaunen, zumal deren gesetzliche Grundlage, das Tiroler Freizeitwohnsitz- und Leerstandsabgabegesetz (TFLAG),[5] bereits seit 1. Januar 2023 in Kraft ist und schon bisher intensiv unter verschiedenen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten diskutiert wurde. Die Diskussionen konzentrierten sich im Wesentlichen auf die Kompetenz des Landesgesetzgebers zum Erlass eines die Erhebung einer Leerstandsabgabe regelnden Gesetzes[6] sowie auf die grundrechtlichen Grenzen des Eigentumsgrundrechts, des Gleichheitssatzes sowie ggf. der Erwerbsfreiheit[7]. Soweit ersichtlich, wurden bisher mit Blick auf die aktuelle Leerstandsabgabe in Tirol weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur erhebliche Bedenken unter den genannten Gesichtspunkten geltend gemacht. Diese Themen sollen nachfolgend auch nicht vertieft werden. Meine Abhandlung fokussiert allein auf finanzverfassungsrechtliche Aspekte. Entscheidend sind im vorliegenden Fall die Bestimmungen des § 8 Abs. 5 und § 8 Abs. 6 F-VG.
Gemäß § 8 Abs. 5 S. 1 F-VG kann die Landesgesetzgebung Gemeinden ermächtigen, bestimmte Abgaben aufgrund eines Beschlusses der Gemeindevertretung zu erheben, wobei die wesentlichen Merkmale dieser Abgaben landesgesetzlich bestimmt werden müssen. Von dieser finanzverfassungsrechtlichen Rechtsgrundlage haben bisher drei österreichische Bundesländer Gebrauch gemacht und ihre Gemeinden zur Erhebung von Leerstandsabgaben gesetzlich ermächtigt (sog. Kann-Bestimmungen). Es handelt sich dabei um das Bundesland Salzburg[8], das Bundesland Steiermark[9] sowie das Bundesland Vorarlberg[10]. Ausdrücklich wird in den Erläuternden Bemerkungen zu den jeweiligen gesetzlichen Regelungen auf die Rechtsgrundlage des § 8 Abs. 5 F-VG verwiesen.[11] Explizit heißt es darüber hinaus in den Erläuterungen: „Ob und inwieweit die Gemeinden von dieser Ermächtigung Gebrauch machen, ist ihnen überlassen.“
Gemäß § 8 Abs. 6 F-VG kann die Landesgesetzgebung Gemeinden zur Erhebung bestimmter Abgaben verpflichten, wenn dies zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Gleichgewichtes oder zur Deckung bestimmter Erfordernisse im Haushalt der Gemeinden erforderlich ist.
Der wichtige Unterschied zwischen den beiden finanzverfassungsrechtlichen Bestimmungen (Ermächtigung der Gemeinden gemäß § 8 Abs. 5 F-VG versus Verpflichtung der Gemeinden gemäß § 8 Abs. 6 F-VG) und deren Auswirkungen auf die Verfassungsmäßigkeit der landesgesetzlichen Abgabenregelung ist mit Blick auf die Tiroler Leerstandsabgabe bisher kaum beleuchtet worden. Im Zusammenspiel von § 8 Abs. 5 und § 8 Abs. 6 F-VG ist § 8 Abs. 6 F-VG als verfassungsrechtliche Schranke des aus § 8 Abs. 3 F-VG abgeleiteten Abgabenerfindungsrechts der Länder zu verstehen. Der Charakter als Schrankenregelung führt dazu, dass die Verpflichtung zur Erhebung der Leerstandsabgabe durch die Tiroler Gemeinden nur unter den in § 8 Abs. 6 F-VG ausdrücklich benannten Bedingungen erfolgen darf.
III. Aktuelle Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung zur Tiroler Leerstandsabgabe als Vepflichtung der Gemeinden zur
Abgabenerhebung – Gesetzesmaterialen
Im Bundesland Tirol ist die gesetzliche Normierung der Leerstandsabgabe – anders als in Salzburg, der Steiermark und dem Vorarlberg – als Verpflichtung der Gemeinden zu deren Erhebung ausgestaltet.
So heißt es in § 6 des derzeit gültigen TFLAG wörtlich:
„Für Gebäude, Wohnungen und sonstige Teile von Gebäuden, die über einen durchgehenden Zeitraum von mindestens sechs Monaten nicht als Wohnsitz verwendet werden (Leerstand), ist eine Leerstandsabgabe zu erheben.“ [Hervorhebung durch den Verfasser]
Die Verpflichtung zur Abgabenerhebung gilt unterschieds- und ausnahmslos für alle Tiroler Gemeinden, ungeachtet ihrer finanziellen Situation. Bemerkenswert ist, dass die Erläuternden Bemerkungen zur aktuellen gesetzlichen Regelung sich mit der verfassungsrechtlichen Schranke des § 8 Abs. 6 F-VG in keiner Weise auseinandersetzen. Der Tiroler Gesetzgeber erwähnt die Bestimmung nicht einmal. Allerdings wird auf die Motivation zur Einführung der Abgabe eingegangen. Dort heißt es wörtlich:
„Den Gemeinden soll mit der landesgesetzlichen Einführung der Leerstandsabgabe ein fiskalisches Instrument zur weiteren Effektuierung ihrer raumplanerischen Bestrebungen zur Sicherung leistbaren Wohnraumes als Existenzgrundlage für Menschen zur Verfügung gestellt werden.
Mit der vorgesehenen Abgabe sollen im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt werden: Zum einen soll die Abgabe eine Einnahmequelle für die Gebietskörperschaften darstellen und zum anderen soll die Abgabe sozialpolitische Zwecke im Sinn der Nutzung bereits vorhandenen Wohnraumes durch Wohnungssuchende und damit zugleich die Verringerung des Wohnungsdruckes einschließlich der Belastung des Wohnungsmarktes, verfolgen.“[12]
Diese Ausführungen in den Erläuternden Bemerkungen zum Gesetzestext belegen, dass die Tiroler Gemeinden vom Gesetzgeber keineswegs zur Erreichung der in § 8 Abs. 6 F-VG benannten fiskalischen Zwecke (Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Gleichgewichtes oder Deckung bestimmter Erfordernisse im Haushalt der Gemeinden) verpflichtet werden, die Leerstandsabgabe zu erheben. Die Abgabe sollte zwar (auch) eine Einnahmequelle für die Gemeinden darstellen, doch diese Zwecksetzung wird nur sehr allgemein formuliert. Die in § 8 Abs. 6 F-VG benannten spezifischen Zwecke – beispielweise Begegnung von Finanzschwierigkeiten der Gemeinden – werden nicht erwähnt. Vielmehr steht das wiederholt benannte raumordnungspolitische Ziel bei der Gesetzgebung deutlich im Vordergrund. Damit lässt der Tiroler Gesetzgeber die ihm in § 8 Abs. 6 F-VG auferlegten Beschränkungen außer Acht.
Interessant ist, dass in früher datierten Gesetzesmaterialien zum aktuellen TFLAG die geplante gesetzliche Regelung für die Erhebung der Leerstandsabgabe durch die Gemeinden zunächst noch als Kann-Bestimmung ausgestaltet war. Im sog. Begutachtungsentwurf/Gesetzesvorlage vom 14. März 2022[13] lautete der Wortlaut zu § 6 Abs. 1 noch:
„Die Gemeinden werden ermächtigt, durch Beschluss des Gemeinderates für Gebäude, Wohnungen und sonstige Teile von Gebäuden, die über einen durchgehenden Zeitraum von mindestens sechs Monaten nicht als Wohnsitz verwendet werden (Leerstand), eine Leerstandsabgabe nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zu erheben.“ [Hervorhebung durch den Verfasser]
In den Erläuternden Bemerkungen zum Begutachtungsentwurf wurde dementsprechend ausgeführt:
„Die im Gesetz festgelegte Leerstandsabgabe ist als freie Beschlussrechtsabgabe der Gemeinden konzipiert.“[14]
Wohl aufgrund einiger im Rahmen des Begutachtungsverfahrens eingebrachter Stellungnahmen (z.B. AK Tirol, Tiroler Gemeindeverband, Österreichischer Gewerkschaftsbund), die nachdrücklich eine Verpflichtung der Gemeinden zur Einhebung der Leerstandsabgabe forderten, wurde die Ermächtigung dann in eine Verpflichtung der Gemeinden geändert.[15] Dabei wurde auf die verfassungsrechtliche Schranke des § 8 Abs. 6 F-VG keine Rücksicht genommen oder sie wurde übersehen.
IV. Neue Publikationen zur Schrankenregelung des § 8 Abs. 6 F-VG
Soweit ersichtlich, gab es in der jüngeren Vergangenheit zunächst ausschließlich Abhandlungen, die die Tiroler Leerstandsabgabe finanzverfassungsrechtlich nicht beanstandet haben.[16] Erstmals wird in einem vom Land Tirol beauftragten Gutachten zur Gesetzesnovellierung (verfasst von Prof. Dr. Peter Bußjäger und Prof. Dr. Thomas Müller) die verfassungsrechtliche Schranke des § 8 Abs. 6 F-VG mit Blick auf die Tiroler Leerstandsabgabe ausdrücklich thematisiert, allerdings im Rahmen des 43-seitigen Gutachtens lediglich auf einer halben Seite. Hier heißt es wörtlich:
„4. Können einzelne Gemeinden verpflichtet werden, die Leerstandsabgabe einzuheben?
Gem § 8 Abs 6 F-VG kann die Landesgesetzgebung Gemeinden zur Erhebung bestimmter Abgaben verpflichten, wenn dies zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Gleichgewichtes oder zur Deckung bestimmter Erfordernisse im Haushalt der Gemeinden erforderlich ist. Unter diesen Voraussetzungen könnte auch die Landesregierung ermächtigt werden, für die Gemeinden solche Abgaben zu erheben.
Die Bestimmung ist so zu verstehen, dass die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Gleichgewichts im Haushalt der Gemeinden das Ziel der Maßnahme sein muss (Kofler, § 8 F-VG, in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 25. Lfg (2020), Rz 29; Ruppe, § 8 F-VG, in Korinek et al (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrrecht, 12. Lfg (2016), Rz 43). Es geht somit nicht etwa um eine allgemeine Situation des Ungleichgewichts, etwa stark steigender Bodenpreise oder Ähnlichem. Dies bedeutet, dass zwar Gemeinden, deren Haushalt sich im Ungleichgewicht befindet, zur Erhebung der Leerstandsabgabe verpflichtet werden können, jedoch nicht solche Gemeinden, bei denen die Erhebung der Abgabe aus Gründen der Wohnraumschaffung zweckmäßig wäre. [Hervorhebung durch den Verfasser][17]
Das Gutachten fasst sein Ergebnis zu dieser Fragestellung wie folgt zusammen:
„Hinsichtlich einer etwaigen Verpflichtung der Gemeinden zur Erhebung einer Leerstandsabgabe ist im Lichte des § 8 Abs 6 F-VG hervorzuheben, dass dies hinsichtlich Gemeinden zulässig ist, deren Haushalt sich im Ungleichgewicht befindet, jedoch nicht für solche Gemeinden, bei denen die Erhebung der Abgabe aus Gründen der Wohnraumschaffung nur zweckmäßig wäre.“[18]
Auch wenn das Gutachten seine Rechtausführungen auf die Novellierung der Tiroler Leerstandsabgabe fokussiert[19], so betreffen dessen Überlegungen zur finanzverfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Verpflichtung der Tiroler Gemeinden zur Erhebung der Leerstandsabgabe natürlich auch die gegenwärtige Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung.
Eindeutig bestätigt das Gutachten meine These, dass der Gesetzgeber nur für den Fall der in § 8 Abs. 6 F-VG benannten fiskalischen Erfordernisse eine Verpflichtung zur Leerstandsabgabe statuieren darf.
V. Ergebnis und Ausblick
Gemäß § 8 Abs. 6 F-VG 1948 kann die Landesgesetzgebung Gemeinden zur Erhebung bestimmter Abgaben verpflichten, wenn dies zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Gleichgewichtes oder zur Deckung bestimmter Erfordernisse im Haushalt der Gemeinden erforderlich ist. Die aktuelle gesetzliche Ausgestaltung des § 6 Abs. 1 TFLAG als Verpflichtung aller Tiroler Gemeinden zur Erhebung der Leerstandsabgabe aus vorwiegend raumordnungspolitischen Gründen und ungeachtet ihrer finanziellen Situation verstößt gegen diese verfassungsrechtliche Schranke. Die Regelung könnte also im Rahmen einer Normenkontrolle vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) für verfassungswidrig erklärt und aufgehoben werden.
Dass gegen die auf der aktuellen gesetzlichen Regelung beruhenden Abgabenbescheide unter diesem Gesichtspunkt noch niemand vorgegangen ist, mag daran liegen, dass bisher noch nicht viele solcher Abgabenbescheide ausgestellt wurden. Nach einem Bericht der Kronen-Zeitung vom 23.06.2024 ist die aktuelle Tiroler Leerstandsabgabe ein finanzieller Misserfolg. Es seien bis dahin von allen Tiroler Gemeinden nur rund 172.000,00 EUR eingesammelt worden. In der politischen Bewertung dieser Zahlen ist man sich laut Kronen-Zeitung einig. Unter anderem seien die Sätze zu gering, um einen Lenkungseffekt zu erzielen und leerstehende Wohnungen tatsächlich auf den Markt zu bringen.[20]
Die Einigkeit in der Bewertung erstaunt. Die Zahlen belegen ja eher, dass die Gemeinden ganz unabhängig von der Höhe der derzeit gültigen Abgabensätze die Abgaben nicht erheben bzw. möglicherweise aus juristischen Gründen nicht erheben können.
Nach aktuelleren Erhebungen wurden bis zum August 2024 rund 313.000,00 EUR eingenommen und 1308 Leerstandsmeldungen eingereicht. Der Gesetzgeber vermutet jedoch aufgrund der bisherigen statistischen Erhebungen[21], dass die tatsächliche Anzahl der als „leerstandsabgabepflichtig“ bezeichneten Wohnungen in Tirol wesentlich höher sei.[22] Vor diesem Hintergrund ist derzeit eine Gesetzesnovelle geplant, die die Kontrolle durch die Gemeinden durch eine Registerabfrage erleichtern soll. Gleichzeitig sieht der Gesetzesentwurf eine deutliche Erhöhung der Abgabensätze vor. Die Abgabe kann sich nun vervielfachen.
Eine mit Blick auf die hier behandelte Rechtsfrage entscheidende Neuerung ist, dass nach dem derzeitigen Stand der Gesetzesnovelle[23] die Gemeinden künftig nicht mehr verpflichtet, sondern nur noch ermächtigt werden sollen, die Leerstandsabgabe zu erheben. Interessant ist, dass in den Erläuternden Bemerkungen zur Gesetzesnovelle zwar auf die Änderung von einer Verpflichtung der Gemeinden zur Abgabenerhebung in eine Ermächtigung hingewiesen wird. Als Begründung hierfür wird aber lediglich angegeben, dass es aufgrund der deutlichen Erhöhung der Leerstandsabgabe und der Vielzahl der Gemeinden, in welchen kein Druck auf den Wohnungsmarkt bestehe und leistbarer Wohnraum verfügbar sei, nicht sachgerecht scheine, alle Gemeinden zur Einhebung der Leerstandsabgabe zu verpflichten.[24] Diese Begründung für die beabsichtigte Gesetzesänderung verschleiert den zwingenden juristischen Grund für die Neuregelung, nämlich dass die aktuelle gesetzliche Ausgestaltung des § 6 TFLAG gegen die verfassungsrechtliche Schranke des § 8 Abs. 6 F-VG verstößt. Gleichzeitig wird anhand der Ausführungen in den Erläuternden Bemerkungen deutlich, dass die aktuelle Regelung nicht nur verfassungswidrig, sondern die unterschiedslose Verpflichtung der Gemeinden zur Abgabenerhebung unabhängig vom jeweiligen Wohnungsdruck auch nicht sachgerecht ist. Denn dass der Wohnungsdruck in Tirol nicht in Ballungsgebieten und im ländlichen Raum gleichermaßen besteht, dürfte bereits zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes im Jahr 2023 bekannt gewesen sein.
Dr. Dr. Angela Hildebrand, Stand 18.03.2025
Endnoten
[1] Die Anzahl der leerstehenden Wohnungen ist nicht dokumentiert. Es gibt allerdings eine Erhebung der Statistik Austria vom Herbst 2023 zu Wohnungen ohne Wohnsitzmeldung. Danach wiesen zum Zeitpunkt einer Gebäude- und Wohnungszählung (Stichtag 31. Oktober 2021) 16,1 Prozent aller Wohnungen in Tirol keine Wohnsitzmeldung auf. Wäre dies ein Indiz für einen Leerstand, würde das bedeuten, dass von ca. 424.000 Wohnungen in Tirol über 68.000 potenziell leer stehen könnten. Allerdings weist Statistik Austria darauf hin, dass Wohnungen ohne Wohnsitzmeldung sehr unterschiedliche Nutzungen aufweisen. Ein Teil der Wohnungen werde saisonal, etwa für Wochenenden und Ferienaufenthalte verwendet. Es seien in den Zahlen auch Wohnungen enthalten, die zum Verkauf oder zur Vermietung anstehen. Ebenso würden Wohnungen dazu zählen, die nicht mehr bewohnt werden, weil sie saniert werden sollen. Vgl. Statistik Austria: Wohnen 2023. Zahlen, Daten und Indikatoren der Wohnstatistik, abrufbar unter: https://www.statistik.at/fileadmin/user_upload/Wohnen-2023_Web-barrierefrei.pdf, S. 21.
[2] Zu Letzterem siehe Erläuternde Bemerkungen zum Entwurf eines Gesetzes mit dem das Tiroler Freizeitwohnsitz- und Leerstandsabgabegesetz geändert wird, Fassung vom 28. November 2024, abrufbar unter https://www.tirol.gv.at/fileadmin/buergerservice/gesetzbegutachtung/downloads/Freizeitwohnsitz-undLeerstandsabgabegesetzNov2024EB.pdf, S. 4.
[3] Manfred Mitterwachauer: Keine Pflicht für Gemeinden auf Abgabe bei Leerstand? Novelle polarisiert weiter. In: Tiroler Tageszeitung vom 17.01.2025.
[4] Vollständig wird Professor Müller in dem Artikel wie folgt zitiert. „Das Land könne gemäß Finanz-Verfassungsgesetz (F-VG) lediglich in Ausnahmefällen Gemeinden eine Abgaben-Einhebung vorschreiben. Eine solche sei etwa 'die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Gleichgewichts im Haushalt der Gemeinde'. Also: wenn Kommunen unter Finanzschwierigkeiten leiden. Nicht jedoch etwa aus Gründen der Wohnraumschaffung. Insofern, so Müller, stehe bereits die derzeit geltende Pflicht zur Einführung einer Leerstandsabgabe in einem 'Spannungsverhältnis' zum F-VG.“
[5] LGBL. Nr. 86/2022.
[6] Die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers wird grundsätzlich bejaht. In diesem Zusammenhang werden § 8 Abs. 1 F-VG und die verfassungsrechtliche Schranke des § 8 Abs. 3 F-VG benannt, zusätzlich § 16 Abs. 1 Z 4a des Finanzausgleichsgesetzes 2024 sowie Art. 11 Abs. 1 Z 3 B-VG. Hingewiesen wird u.a. auf eine Entscheidung des VfGH aus dem Jahr 1985, in der in einem Einzelfall ein Missbrauch der Abgabeform bei auffallend hohen Abgaben (Abgabe mit Lenkungseffekt) festgestellt wurde mit der Rechtsfolge der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers (siehe VfSlg 10.403/1985), sowie auf die Verfassungswidrigkeit einer Erdrosselungssteuer (vgl. zu den Kompetenzfragen insgesamt Bußjäger, Peter/Müller, Thomas: Gutachten zu verfassungs- und datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen einer Novellierung der Tiroler Leerstandsabgabe. 07.08.2024. Abrufbar unter https://www.tirol.gv.at/fileadmin/buergerservice/Beauftragte_Gutachten_Studien_Umfragen/Uni_Ibk_Gutachten_Leerstandsabgabe_.pdf, S. 5-11.
[7] Zu den grundrechtlichen Rahmenbedingungen vgl. Bußjäger/Müller, S. 11-16.
[8] § 1 Nr. 2 Salzburger Zweitwohnsitz- und Wohnungsleerstandsabgabengesetz (ZWAG).
[9] § 1 Nr. 2 Steiermärkisches Zweitwohnsitz- und Wohnungsleerstandsabgabegesetz (StZWAG).
[10] § 1 Gesetz über die Erhebung einer Abgabe von Zweitwohnsitzen und Wohnungsleerständen (Zweitwohnungsabgabegesetz-ZAG).
[11] Siehe beispielsweise für Salzburg: https://www.salzburg.gv.at/00201lpi/16Gesetzgebungsperiode/5Session/507.pdf.
[12] Siehe die Erläuternden Bemerkungen zum Entwurf eines Gesetzes über die Erhebung einer Freizeitwohnsitzabgabe und einer Leerstandsabgabe (Tiroler Freizeitwohnsitz- und Leerstandsabgabengesetz – TFLAG), abrufbar unter https://portal.tirol.gv.at/LteWeb/public/ggs/ggsDetails.xhtml?id=18611&cid=2, S. 2.
[13] Abrufbar unter https://portal.tirol.gv.at/LteWeb/public/ggs/ggsDetails.xhtml?id=18611&cid=2.
[14] Erläuternde Bemerkungen zum Entwurf eines Gesetzes über die Erhebung einer Freizeitwohnsitzabgabe und einer Leerstandsabgabe. Fassung vom 14. März 2022, S. 2, abrufbar unter https://portal.tirol.gv.at/LteWeb/public/ggs/ggsDetails.xhtml?id=18611&cid=2.
[15] Siehe Sitzungsbericht des Tiroler Landtages vom 06. und 7. Juli 2022, abrufbar unter https://portal.tirol.gv.at/LteWeb/public/ggs/ggsDetails.xhtml?id=18611&cid=2, S. 44.
[16] Z.B. Zimmer, Gerlinde: Das Abgaben(er)findungsrecht der Bundesländer – Rahmenbedingungen, Möglichkeiten und Verfahren. In: Zeitschrift für das öffentliche Haushaltswesen, Jg. 64, April 2023, Heft 1, S. 57-76, hier S. 75, FN. 59 sowie Bußjäger, Peter/Eller, Mathias: Verfassungsrechtliche Aspekte einer Leerstandsabgabe als Landesabgabe. In: Zeitschrift für öffentliches Haushaltswesen, Jg. 64, April 2023, Heft 1, S. 1-14, hier S. 4-8. Diskutiert werden bei Bußjäger/Eller lediglich die Vorgaben des § 8 Abs. 3 F-VG (dies betrifft das Abgabenerfindungsrecht der Länder) und die des § 8 Abs. 4 F-VG.
[17] Bußjäger/Müller, S. 21 u. 22, Rz. 45 u. 46.
[18] Bußjäger/Müller, S. 41, Ziff. 13.
[19] Siehe die Betitelung des Gutachtens.
[20] Was die Höhe der aktuellen Abgabe betrifft, so sind Mindest- und Höchstbeträge bereits durch das TFLAG festgelegt. Beispielsweise sieht das Gesetz für Nutzflächen zwischen 90 und 150 qm eine Spanne von monatlich mindestens 45,00, höchstens 100,00 EUR vor. Für Wohnungen in sog. Vorbehaltsgemeinden – das sind Gemeinden, in denen in der Vergangenheit ein besonders hoher Druck auf den Wohnungsmarkt festgestellt wurde (derzeit 142 von den 277 Tiroler Gemeinden) – gilt der doppelte Satz. Das bedeutet, dass für eine 100 qm Wohnung in einer Vorbehaltsgemeinde jährlich bis zu 2.400,00 EUR erhoben werden kann. Über die konkrete Höhe der Abgabe hat jede Gemeinde eine Verordnung zu erlassen.
[21] Siehe oben Endnote 1.
[22] Siehe Erläuternde Bemerkungen zum Entwurf eines Gesetzes mit dem das Tiroler Freizeitwohnsitz- und Leerstandsabgabegesetz geändert wird, Fassung vom 28. November 2024, S. 2.
[23] Abrufbar unter https://www.tirol.gv.at/fileadmin/buergerservice/gesetzbegutachtung/downloads/Freizeitwohnsitz-undLeerstandsabgabegesetzNov2024.pdf.
[24] Siehe Erläuternde Bemerkungen zum Entwurf eines Gesetzes mit dem das Tiroler Freizeitwohnsitz- und Leerstandsabgabegesetz geändert wird, Fassung vom 28. November 2024, S. 4.
© Dr. Dr. Angela Hildebrand - E-Mail: angela [punkt] hildebrand [ at ] gmx [punkt] net
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